• Ausgabe 10-11 / 2015

    AUFRUF ZUR BARMHERZIGKEIT

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Unsere Themen im Jahr 2015

„Damit es zum Verzeihen kommt..."

Auch wenn der Begriff Barmherzigkeit im Kirchenrecht nicht vorkommt, sollte die kirchliche Rechtsordnung Barmherzigkeit als Grundgerüst haben.

 

Die Frage, ob Barmherzigkeit in ihrem beruflichen Alltag eine Rolle spielt, beantwortet die Salzburger Diözesanrichterin Elisabeth Kandler-Mayr ohne zu zögern mit einem „Ja“. Objektivität, Professionalität und Unvoreingenommenheit seien zweifellos wichtige Grundlagen, wenn es darum geht, in den ihr anvertrauten Fällen zu einem Urteil zu kommen. Das schließe Barmherzigkeit aber keineswegs aus, betont die Richterin,

die seit 30 Jahren – als erste Frau – am Diözesangericht in Salzburg arbeitet. Auch wenn der Begriff Barmherzigkeit im Gegensatz zu Gerechtigkeit kein einziges Mal im Kirchenrecht vorkommt, muss „die kirchliche Rechtsordnung die Barmherzigkeit als Grundgerüst haben“, sagt die Richterin. Das Kirchenrecht spreche in diesem Zusammenhang von der „kanonischen Billigkeit“. „Das bedeutet, dass man die Dinge dort, wo reine Rechtsmaßstäbe zu wenig wären, mit Augenmaß betrachten soll“, erklärt Kandler-Mayr. Die Gesetze würden damit nicht außer Kraft gesetzt, sondern dem untergeordnet, was das kirchliche Recht als oberstes Gebot definiert: das Heil der Seelen.

 

Vergangenes aufarbeiten

Zu Kandler-Mayrs Aufgaben zählen hauptsächlich Eheannullierungen. Für die Richterin spiegelt sich Barmherzigkeit dabei im Mitgefühl mit den Betroffenen, in Offenheit und Respekt und der Option der Versöhnung mit der eigenen Lebensgeschichte. In ungestörten Einzelgesprächen haben die Betroffenen die Möglichkeit, ihre Situation ausführlich darzulegen. Die Atmosphäre ist in den allermeisten Fällen sehr offen, schildert die Richterin. „Die Leute lassen sich sehr gut darauf ein. Für viele ist es leichter, die eigene Lebensgeschichte einer vollkommen fremden Person zu erzählen.“

 

Weil es sich um sensible und sehr persönliche Angelegenheiten handle, sei „viel Feingefühl“ notwendig, Mitgefühl mit den Betroffenen stelle sich ohnehin automatisch ein. „Vieles geht mir auch persönlich nahe. Ich lerne viele Menschen kennen, die wegen ihrer schwierigen Lebensgeschichte nicht verbittern, sondern versöhnt sind und gut zurechtkommen“, sagt Kandler-Mayr. Genau dieser Aspekt von Aufarbeitung und Versöhnung stehe bei vielen Eheannullierungen im Vordergrund.

 

Der Kritik, dass eine Eheannullierung unnötig sei, hat die Richterin aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung einiges entgegenzusetzen: „Das geordnete Verfahren, das wir bieten, hilft, Vergangenes zu bearbeiten und abzuschließen. Eine Annullierung bedeutet aber nie, dass da nichts war.“ Die rechtliche Wertung helfe vielmehr anzuerkennen, dass den Betroffenen etwas Wesentliches entgangen sei, zum Beispiel, weil einer der Ehepartner von Anfang an verschwiegen hat, dass er keine Kinder möchte.

 

Vom Anerkennen zum Verzeihen

Ein weiterer Arbeitsbereich, mit dem Kandler-Mayr zu tun hat, ist die Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kirche. Die Anerkennung, dass Missbrauch passiert sei, beinhaltet für Kandler-Mayr einen Aspekt von Barmherzigkeit. „Denn“, erklärt die Richterin, „viele Fälle liegen 40 oder 50 Jahre zurück und sind – rein rechtlich betrachtet – verjährt. Mit Recht und Gerechtigkeit allein käme man hier nicht mehr weit.“ Sexuellen Missbrauch anzuerkennen und Beschuldigte möglicherweise einer Tat zu überführen, sei allerdings nur ein Teil der Aufarbeitung im Leben der Betroffenen. „Das müsste letztlich beim Einzelnen dazu führen, dass er zum Verzeihen kommt. Denn nur so kann er sein Leid loslassen.“

 

Sandra Lobnig

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