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Christen im Irak – Der Ernstfall des Glaubens

Christen werden im Irak diskriminiert, vertrieben, verfolgt und getötet. Nicht überall, doch vielerorts – Und trotzdem geben viele ihre Heimat nicht auf.

 

Die Nacht vom 6. auf den 7. August 2014 wird die irakische Ordensfrau Luma Khuder ihr Leben lang nicht mehr vergessen. In dieser Nacht rückte die Terrormiliz IS auf die Christenstadt Karakosch im Nordirak vor. Alle 50.000 Bewohner versuchten zu fliehen und die sicheren Kurdengebiete - rund 50 Kilometer entfernt - zu erreichen. Nicht alle schafften es. Die grauenhaften Bilder dieser Flucht verfolgen sie immer noch, erzählt die Ordensfrau.

 

Insgesamt flohen im Nordirak 2014 bis zu 120.000 Menschen vor dem IS. Sie flohen aus der Millionenstadt Mosul, aus Karakosch und den anderen christlichen Städten und Dörfern in der Ninive-Ebene; neben den Christen auch Jesiden, Schiiten und andere religiöse Minderheiten. Die Verfolgung der Christen durch muslimische Extremisten und andere Kriminelle hat freilich schon lange vor dem Erscheinen der IS-Terrormiliz begonnen. Rund eine Million Christen lebte vor der US-Invasion 2003 im Irak. Inzwischen schätzen Kirchenvertreter die Zahl aller Christen im Land auf gerade noch 300.000. Rund die Hälfte davon Flüchtlinge im eigenen Land. Viele versuchten ihr Glück im Ausland. Die einen schafften es in den Westen, viele weitere sitzen in Ländern wie Jordanien oder dem Libanon fest.

 

Kampf ums nackte Überleben

 

Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, spricht von einem Völkermord an den Christen. Die Kirche bemühe sich nach Kräften, den geflohenen Menschen zu helfen, sagte der Erzbischof. Sowohl die chaldäische als auch die syrisch-katholische und syrisch-orthodoxe Kirche betreiben Flüchtlingscamps und andere Hilfseinrichtungen wie Schulen oder medizinische Zentren.

 

Es geht um das Überleben der Christen in ihrer Urheimat, betont auch der chaldäische Patriarch Louis Sako. Er hat seinen Sitz - noch - in Bagdad und versucht, seine letzten Kirchenmitglieder in der irakischen Hauptstadt zum Bleiben zu bewegen. Den vor dem IS geflohenen Christen aus Mosul und der Ninive-Ebene spricht er Mut zu, dass der IS bald vernichtet wird und sie in ihre Städte und Dörfer zurückkehren können.

 

Tausende Ermordete und Verwundete, Hundertausende Vertriebene werden in den Medien kolportiert. Doch es sind keine abstrakten Zahlen sondern konkrete Menschen. Bei meinen Besuchen in den Flüchtlingslagern, Städten und Dörfern im Irak haben diese Zahlen ein Gesicht bekommen. Es sind die Gesichter von Menschen, die Todesängste ausstehen mussten, die Angehörige verloren haben, die ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen mussten. Es sind Menschen, die eine Geschichte zu erzählen haben; eine Geschichte von den letzten Christen im Irak.

 

Terror in Bagdad

 

Der 18-jährige Loay hatte keine Chance. Er befand sich mitten in einer großen Menschenmenge auf einem belebten Markt in Bagdad als die Bombe hochging. Seine zwei Jahre ältere Schwester Janine hörte die Detonation und rannte zum Ort des Grauens, verzweifelt auf der Suche nach ihrem Bruder. Da ging die zweite Bombe hoch. - Insgesamt 18 Menschen starben an diesem Tag in Bagdad, unzählige wurden verletzt. Ein Tag wie jeder andere im Irak.

 

Für die Eltern brach mit dem Tod ihrer beiden Kinder eine Welt zusammen: "Uns hat nichts mehr in Bagdad gehalten. Wir hatten dort keine Zukunft mehr", erzählt mir der Vater Jehad. Ich traf das Ehepaar in der Stadt Süleymaniye in der autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak. In der chaldäisch-katholischen Pfarrgemeinde von Süleymaniye haben sie und hunderte weitere Christen Aufnahme gefunden.

 

"Alles verloren und verlassen"

 

In einer abgelegenen Region im Norden Kurdistans liegt das Dorf Levo. Hier treffe ich Daniel Sako. Eigentlich sollte der 35-jährige längst tot sein. Gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern hatte er in einem Restaurant in Bagdad Arbeit gefunden, in dem früher oft hohe Angehörige des Saddam-Regimes zu Gast waren. Wahrscheinlich war es deshalb bald nach dem Einmarsch der US-Truppen 2003 Ziel eines Bombenanschlags. Daniels Bruder und Schwester waren sofort tot. Er selbst überlebt schwer verletzt. "Wir haben alles verloren. Wir kamen nur mit unseren Kleidern am Leib hier an", erzählt Daniel über die Flucht mit seiner Familie.

 

In die kleine Ortschaft Levo im Norden Kurdistans haben sich hunderte Christen aus Bagdad geflüchtet. Levo gehört zu rund 25 Dörfern mit einer unglaublichen Geschichte: Als in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre der Konflikt zwischen dem Saddam-Regime und den kurdischen Rebellen erstmals eskalierte, zerstörte die irakische Armee die Dörfer, ermordete viele Bewohner und vertrieb die anderen. Die meisten Christen gingen nach Bagdad und bauten sich dort ein neues Leben auf.

 

Die kurdische Regierung wollte nach 2003 die Christen wieder zurückholen und baute 16 Dörfer wieder auf. Vor Gewalt und Terror sind die Christen hier sicher, bestätigte Daniel, doch es fehle an Arbeit und Infrastruktur. Er selbst hatte Glück: Die Linzer Hilfsorganisation "Initiative Christlicher Orient" stellte für Levo einen kleinen Bus zur Verfügung, mit dem er als Busfahrer nun sein Geld verdient.

 

Priesterweihe im Flüchtlingscamp

 

In den Wochen vor seiner Ermordung hatte Ragheed Aziz Ganni Drohbriefe erhalten, in denen der 35-jährige Priester aufgefordert wurde, die Kirche zu schließen und keine Messen mehr zu feiern. Doch Ganni machte unbeirrt weiter. Am 3. Juni 2007 war der Geistliche nach dem Sonntagsgottesdienst in Mossul mit dem Auto unterwegs. Plötzlich stoppten bewaffnete Männern das Fahrzeug. Der junge Priester und die drei ihn begleitenden Diakone wurden auf der Stelle erschossen. Das Grab von Ragheed in der Stadt Karamles wurde zum Wallfahrtsort für die Christen im Irak. - Bis Karamles 2014 von der IS-Terrormiliz überrannt wurde.

 

Ammar Siman, der Regens des syrisch-katholischen Priesterseminars in Karakosch, war ein guter Freund von Ragheed. Jeder Priester und jeder der rund zehn Seminaristen müsse immer damit rechnen, dass es auch sie treffen kann. Angst habe hier jeder, doch keiner gebe deshalb seine Berufung auf. Das Priesterseminar befand sich ursprünglich in Mossul, aus Sicherheitsgründen wurde es 2009 geschlossen und in Karakosch neu aufgebaut. Als der IS im August 2014 Karakosch überrannte, konnten sich der Regens und seine Seminaristen im letzten Moment retten. Das Seminargebäude ist nun ist nun ein IS-Militärlager.

 

In der kurdischen Hauptstadt Erbil haben die syrisch-katholischen Geistlichen ihr neues Hauptquartier eingerichtet. Sie betreuen Pfarren und sind in den zahlreichen Flüchtlingslagern präsent. Vier Seminaristen wurden vor wenigen Wochen zum Diakon geweiht - nicht in einer der großen Kirchen von Erbil sondern in einer kleinen Container-Kirche in einem Flüchtlingscamp. Einer der vier ist Remi Momica: "Wenn die Menschen hier sehen, dass wir hier bei ihnen geweiht werden, dann gibt ihnen das die Hoffnung, die sie brauchen, um hier zu bleiben", erzählt er.

 

Für Sr. Luma Khuder ist Auswandern keine Option. Sie versorgt mit ihren Mitschwestern christliche Flüchtlinge in einem Camp in Erbil: "Solange es auch nur einen einzigen Christen im Irak gibt, werden wir das Land nicht verlassen, sondern bei den Menschen bleiben und ihnen beistehen", sagt die Ordensfrau. Was gibt ihr in dieser so schwierigen Situation Hoffnung? "Drei Tage, nachdem die Flüchtlinge aus Karakosch im Kurdengebiet angekommen sind, wurde das erste Kind in einem Zelt vor einer Kirche geboren."

 

Georg Pulling

stv. Chefredakteur der Katholischen Presseagentur "Kathpress"

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe September

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