Kontakt

 

Mag. Lukas Cioni

Redaktionsleiter "miteinander"

Stephansplatz 6

1010 Wien

Tel.: +43 1 516 11-1500

 

Sie haben eine neue Adresse? Schreiben Sie uns hier oder rufen uns unter DW 1504 an.

 

Redaktion & Impressum

Lob der Freundschaft

"Wir müssen in den sozialen Netzwerken aktiver werden"

Was ist Freundschaft noch wert in einer Zeit lockerer virtueller Social Media-Bindungen und "likes"? Viel, sagt der Frankfurter Theologe und Medientheoretiker Joachim Valentin.

 

Herr Dr. Valentin, auf Facebook haben Sie nahezu 1.500 Freunde. Hat ihr Tag mehr als 24 Stunden, um diese alle gleichermaßen zu pflegen…?

 

Nein, natürlich nicht. Aber ich verstehe natürlich, worauf Sie hinaus wollen: Mit diesen 1.500 Personen pflege ich natürlich keine Freundschaft wie mit jener handvoll enger Freunde, mit denen ich alles teile. Das Problem ist ein sprachliches: Im Social Web spricht man vom englischen "friendship" – das deutsche "Freundschaft" geht darüber hinaus. Vielleicht wäre es besser, von vielen "Bekannten" zu sprechen, zu denen ich via Facebook Kontakt halte.

 

Sie würden also nicht von einer Inflation des Freundschaftsbegriffs sprechen wollen…

 

Die Kritik an einer Überdehnung des Freundschaftsbegriffs kommt meines Erachtens vor allem von jenen, die selbst gar nicht in den Social Media aktiv sind. Außerdem glaube ich, dass Menschen sehr gut unterscheiden können zwischen dem, was sich "virtuell" abspielt, und ihren wirklichen sozialen Netzen und persönlichen Freundschaften. Aber tatsächlich haben sich die Social Media-Kanäle – allen voran Facebook – nicht nur zu einem Umschlagplatz für Kontakte und Bekanntschaften entwickelt, sondern auch zu einer Info-Plattform: Ich erfahre von Dramen, Tragödien, Nachrichten zuallererst über Facebook. Hier ist eine community entstanden, die eine ganz eigene Dimension des gesellschaftspolitischen Austauschs – auch des Austauschs über religiöse Fragen – darstellt.

 

Kritiker der Netz-Öffentlichkeit werfen dem Medium einen nur pseudo-demokratischen Impetus vor – in Wahrheit gehe es um die Platzierung von Werbung, um’s Geld…

 

Ich teile diesen kulturpessimistischen Zugang nicht. Im Gegenteil – Facebook hat das Zeug, ein echtes demokratisches Medium zu sein, insofern es Umschlagplatz für Meinungen und Nachrichten ist. Und ich gehe noch einen Schritt weiter und würde sagen, dass Kirche ebenso wie gebildete Menschen dort präsent sein sollten, da dies eine der zentralen Arenen der Meinungsbildung und damit des Politischen heute darstellt. Die Rechten, aber z.B. auch die Islamisten haben das längst erkannt und nutzen die Social Media intensiv, um Meinungen zu streuen und damit die Meinungsbildung zu beeinflussen. Die Intensität, in der dieser neue öffentliche Raum von spin doctoren aller Art umkämpft wird, sollte uns nicht abschrecken, sondern gerade herausfordern, dort auch mit unseren Botschaften als Kirche mitzumischen. Denn das Medium ist immer nur so demokratisch, wie die Menschen sind bzw. ticken, die es nutzen.

 

Gibt es einen Trend, den Sie als "Insider" in den letzten Monaten ausmachen würden?

 

Es gibt meines Erachtens eine massive Polarisierung – und zwar gesellschaftlich als auch entsprechend in den sozialen Medien. Ich nehme da vor allem zwei gefährliche, weil aggressiv auftretende Gruppen war: zum einen den radikalen Islam, der im Übrigen auch in die religiös-konservativen Verbände hineinragt; und zum anderen den Rechtspopulismus mit zunehmend gewaltvollen Ausdrucksformen. Angesichts dieser Polarisierung würde ich es als Aufgabe der Kirchen betrachten, mit den demokratischen, öffentlich-rechtlichen Medien und den Parteien in den sozialen Netzwerken aktiver zu werden und dort jene Werte zu verteidigen, die derzeit so leichtfertig in Frage gestellt werden. Die vernünftigen, gemäßigten Kräfte müssen zusammenstehen, um eine weitere Aushöhlung der demokratischen Grundlagen unseres Gemeinwesens abzuwehren.

 

Noch einmal zurück zum Thema Freundschaft und Neue Medien: Sehen Sie diesbezüglich kirchliche Versäumnisse?

 

In der Tat. Bei der ganzen Fokussierung auf Ehe und Familie in jüngster Zeit – Stichwort: Familiensynode – haben wir meines Erachtens das Thema Freundschaft vernachlässigt. Dabei findet man den Begriff schon bei den Kirchenvätern, wo Freundschaft (filia) als eine andere, aber durchaus gleichrangige Form von Liebe (caritas, agape, eros) gesehen wurde. Dieser Aspekt geriet schließlich mit dem Aufstieg eines patriarchalen Ehebegriffs in der frühen Neuzeit in Vergessenheit. Dabei bezeichnet er, was wir heute alle suchen und brauchen: Das Band der Freundschaft auch zwischen Liebenden und Ehepartnern, das Krisen überdauert. Und um die Brücke zurück zu den sozialen Medien zu schlagen: Solche Freundschaften pflegt man nicht über Facebook. Sie brauchen die Intimität des persönlichen, nicht-öffentlichen Wortes. Das dürfen wir auch in der schnell getakteten schönen neuen Kommunikationswelt nicht vergessen.

 

Das Interview führte Henning Klingen

 

Dr. Joachim Valentin leitet die katholische Akademie "Haus am Dom" in Frankfurt a. Main und ist Professor für christliche Religions- und Kulturtheorie an der dortigen J.W. Goethe Universität.

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe September

Jetzt kostenloses Probeabo bestellen!

CANISIUSWERK
Zentrum für geistliche Berufe

Stephansplatz 6
1010 Wien

Telefon: +43 1 516 11 1500
E-Mail: office@canisius.at
Darstellung: