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Herzklopfen

Wider das Gift des Oberflächlichen

Was geschieht, wenn Religion in Form von Literatur, Architektur, Kunst oder Persönlichkeiten das Leben berührt? Ein Erkundungsgang von Wolfram Kurz.

 

Es gibt Phänomene im Leben, die kann man nicht verstehen, sofern man nicht mitmacht: Man kann über die Liebe viele Bücher schreiben, aber nur derjenige, der geliebt hat, der sich unglücklich verliebt hat, der glücklich geliebt hat, weiß etwas von Liebe.

 

Ähnlich verhält es sich mit der Religion. Man denke etwa an sakrale Architektur, an die berühmten Kathedralen, Klöster, Kreuzgänge in Europa. Oder man denke an Kunstwerke, an Fresken, Mosaiken, Tafelbilder in ihrer farblichen, kompositorischen Schönheit und ihrer eminenten theologischen Ausdruckskraft, die das Herz weit werden lassen. Man denke aber auch an die großen Persönlichkeiten des Alten und Neuen Testaments, Persönlichkeiten, in deren Geist der Geist Jesu Christi eingebrochen ist.

 

Ich denke, stellvertretend für viele, an Franziskus Bernardone, Martin Luther King und Friedrich von Bodelschwingh. An ihnen hat sich ereignet, was der Priester Samuel im Alten Testament dem jungen König Saul ankündigt hat: "Der Geist Gottes wird über dich kommen, sodass du in Begeisterung gerätst. Da wirst du umgewandelt und ein anderer Mensch werden." Einige Zeilen weiter heißt es: "Und als Saul sich umwandte, um wegzugehen, da verwandelte Gott sein Herz in ein anderes." (1 Sam10,8.9)

 

Ein neues Herz

 

Im Alten Testament ist das Herz nicht Ort der Gefühle, sondern vielmehr Ort des Sinnens und Trachtens, Planens und Überlegens. Entscheidend ist im Blick auf das Herz die Frage: Was ist mir wichtig im Leben und wie kann ich das, was mir wirklich wichtig ist, auch verwirklichen? Ein neues Herz zu bekommen, bedeutet die Verwandlung meiner Grundorientierung im Sinne einer radikalen Neuorientierung.

 

Was mich an meiner Religion noch begeistert, abgesehen von Architektur, Bild und Persönlichkeit? Wenn ich die Zeit hätte, würde ich auf die 35 Schriften des Alten Testaments und die 27 Schriften des Neuen Testaments verweisen, mit denen man nie fertig wird, weil wir sie immer neu entschlüsseln, neue Fragen an sie stellen und wir ihnen in jeder neuen Zeit neue Antworten abringen. In der Fülle ihrer literarischen Formen erinnern sie uns an etwas: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!

 

Kontrapunkte gegen das Oberflächliche

 

Alle begeisternden Ausdrucksformen der Religion – auch die Schriften, die uns erinnern, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, – sind Kontrapunkte gegen das Geistlose, Gewöhnliche und Oberflächliche. Jeder benötigt diesen Kontrapunkt, gleichgültig, ob er nun konfessionell gebunden oder in Sachen Religion ein "freischaffender Künstler" ist.

 

Weil das so ist, hat Pascal Mercier seinem atheistischen Helden im Roman "Nachtzug nach Lissabon" folgende Worte in den Mund gelegt:

 

Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben. Ich brauche ihren Glanz. Ich brauche ihn gegen die schmutzige Einheitsfarbe der Uniformen.

 

Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistlose Geschwätz der Mitläufer. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik.

 

Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche die unwirkliche Kraft ihrer Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte.

 

Kann man es schöner ausdrücken?

 

Wolfram Kurz


Univ.-Prof. Dr. theol. Wolfram Kurz ist Leiter des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse Tübingen/ Wien (www.logotherapie.net). Beim vorliegenden Artikel handelt es sich um einen gekürzten Vortrag zum Thema „Begeisterung als religiöse Kraft“.

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe April

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